Flucht

Die verschiedenen Etappen der Flucht

Die Menschen, die sich aus diversen Gründen entschieden haben, die beschwerliche Reise nach Europa auf sich zu nehmen, führt es durch viele Länder und über zahlreiche Hürden.

Bis die EU ein Abkommen mit der Türkei unterzeichnete, versuchten viele syrische Flüchtlinge über die Türkei nach Griechenland oder Bulgarien zu gelangen, von wo sie Richtung Nordwesten zogen. Meist zu Fuß und während der Nacht, um nicht von der Polizei erwischt zu werden.

Bevor sie sich auf einer der Landrouten auf den Weg machen konnten, hatte ein großer Teil dieser Menschen eine lebensgefährliche Überfahrt von der Türkei auf eine der griechischen Inseln auf sich genommen. Obwohl diese Inseln nicht weit von der türkischen Küste entfernt sind, kam es regelmäßig zu Bootsunglücken, wegen überfüllter und maroder Schlauchboote, und nicht zu unterschätzender Strömungen.

Auf dem europäischen Festland angekommen und unterwegs Richtung Nordwesten, warteten neue Herausforderungen auf die Flüchtenden, wie geschlossene Grenzen, Stacheldrähte und die Grenzpolizei.

Seit dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei, hat eine andere Route wieder an Popularität gewonnen. Diese Route führt über Ägypten nach Libyen oder Tunesien, von wo die Flüchtenden versuchen über das Mittelmeer nach Italien zu gelangen. Diese Überfahrt ist wie russisches Roulette und Bootsunglücke sind leider keine Seltenheit im Mittelmeer. Aber auch im Golf von Aden, dem Roten Meer sowie in Süd-Ost Asien verunglücken regelmäßig Leute, beim verzweifelten Versuch der Ausreise über das Meer. Schuld daran sind zwielichtige Schlepperbanden, welche sich wenig um das Schicksal ihrer ¨Klienten¨ kümmern und die ohnehin schon alten und beschädigten Boote mit flüchtenden Menschen überfüllen.

Im Falle solcher Versuche, über das Meer nach Europa einzureisen, sind es neben den Syrern überwiegend Flüchtlinge aus dem sub-saharischen Raum (aus Ländern wie Mali, Nigeria, der Zentralafrikanischen Republik und der Region der großen afrikanischen Seen, Süd-Sudan, Äthiopien und Eritrea), die das Risiko einer Schiffsreise von Tripolis oder Tunis nach Lampedusa eingehen.

In der EU gibt es ein Gesetz, das besagt, dass Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen müssen, wo sie zuerst angekommen sind. Deshalb versuchen viele unentdeckt bis nach Nordwesteuropa zu gelangen, um dort Asyl zu beantragen. Oft wollen sie zu ihren Familien oder erhoffen sich bessere Zukunftsperspektiven in den nordwesteuropäischen Ländern. Da diese Menschen auf ihrer Durchreise kein Asyl beantragen, leben sie oft unter prekären Bedingungen in improvisierten Flüchtlingslagern, und erhalten keine Unterstützung bis sie in ihrem Zielland angekommen sind.

Das Problem der Schlepper

Syrian and Afghan refugees warm themselves and dry their clothes around a fire after arriving on a dinghy from the Turkish coast to the northeastern Greek island of Lesbos, early Wednesday, Oct. 7, 2015. (AP Photo/Muhammed Muheisen)

 Syrische und afghanische Flüchtlinge nach ihrer Ankunft auf der griechischen Insel Lesbos. (AP Photo/Muhammed Muheisen)

Schlepper haben immer eine Antwort, wie man illegal nach Europa einreisen kann.

Das Internet, darunter Netzwerke wie Facebook, stellt dabei eine erste Instanz der Kontaktaufnahme für die meisten Flüchtlinge dar. Preise variieren pro Angebot: für alle nötigen gefälschten Dokumente inklusive Transport, zahlt der durchschnittliche Migrant bis zu mehrere Tausend Dollar. (Oft für Strecken, wo ein Tourist lediglich 35€ zahlt !)

Die Nachfrage nach Einreisemöglichkeiten nach Europa steigt ständig, also steigt auch das Angebot. Es gibt Schlepper, die sich ein regelrechtes Unternehmen – eine Art Reisebüro – aufbauen und dieses auf längere Zeit aufrechterhalten. « Schlepperkönige » wie Abu Hamada (welcher seine Geschichte dem britischen The Guardian berichtete), werden über diesen Weg zu Multimillionären. Der 62-jährige gelernte Ingenieur arbeitet von Kairo aus und bietet illegale Schiffsfahrten nach Italien für etwa 1900 Dollar pro Person auf 200-Personen Frachtern an. Die Redakteure der Zeit sprechen demnach nicht mit Unrecht von « Gesamtpaketen », « all-inclusive Reisen » und einer « internationalen Reiseindustrie », wenn sie über die Schlepperbanden und ihre Methoden berichten.

Viele Schlepper fragen nach einer Zahlung im Voraus und sehen die Flüchtlinge vor allem als Ware an, die es in großen Mengen und schnell zu transportieren gilt. Nach der Zahlung des Betrags ist es diesen Schleppern egal, was passiert. Schiffe, Lastkraftwagen oder Autos werden ohne den Gedanken an eine sichere, geschweige denn, menschenwürdige Ankunft der Passagiere überfüllt. Die Flüchtenden begeben sich in eine « Zone der absoluten Rechtlosigkeit » und sind den Schleppern hilflos ausgeliefert.

Hauptsammelplätze von Schlepperbanden bleiben Agadez in Niger – auch das « Tor zur Sahara » genannt -, Khartum im Sudan und schließlich Libyen. Das vom Bürgerkrieg zerrüttete Land, bietet ideale Umstände für den illegalen Transport von Menschen. Schiffe steuern mehrmals täglich Europa an, wobei der Preis der Fahrten von 1000 bis 4000 Dollar reichen kann. Einmal angekommen, stehen weitere Kosten an, z.B. 500 Euro für eine Autofahrt von Mailand nach München.

Das Leben auf der Flucht

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 Plakat der Ausstellung Bitter Oranges von Carole Reckinger, Prof. Dr. Gilles Reckinger, Dr. Diana Reiners

Menschen, die z.B. aus Mali nach Europa reisen wollen und mit einem Jahreseinkommen von circa 670€ auskommen müssen, haben oft keine andere Wahl als bei ihrer Familie und Bekannten um finanzielle Unterstützung zu bitten und ihre gesamten Ersparnisse zu opfern, um auf die nötigen Summen zu kommen. So kommt es häufig vor, dass man an ein oder der anderen Etappe der Reise Halt machen muss, um sich das fehlende Kapital zu erarbeiten. Zentrale Reiseetappen wären die schon oben erwähnten Städte Agadez und Khartoum, aber auch Tripolis und Tunis, sowie Tanger.

Die Ankunft in Europa erlöst die Flüchtlinge nicht von finanzieller Not, so dass sie oft (vor allem in Südeuropa – Italien und Spanien) ihre Reise unterbrechen müssen, um illegal Geld für eine Weiterreise zu verdienen. Hier geraten sie wegen ihres Status als illegale Zuwanderer in Situationen der Ausbeutung und Unterbezahlung und bleiben Monate, wenn nicht Jahre an einen Ort gefesselt und leben in menschenunwürdigen Slums.

Das Projekt der Anthropologen Carole Reckinger, Prof. Dr. Gilles Reckinger und Dr. Diana Reiner mit dem Titel « Bitter Oranges » greift in einer gleichnamigen Ausstellung, sowie in Seminaren und Vorlesungen, genau diese Problematik moderner Sklaverei auf und berichtet über die miserablen Zustände der illegalen, immigrierten Saisonarbeitern auf den Orangeplantagen in Kalabrien. Letztere verdienen für 12 Stunden Erntearbeit rund 20€ am Tag – im Vergleich bekäme man hier in Luxemburg, wo der monatliche Mindestlohn 1922,96 beträgt, täglich über 100€ netto.

Gewalt und Misshandlung bleiben stetige Begleiter der Reisenden. Die Schlepper sehen körperliche Gewalt als effektives Mittel an, ihre Opfer ruhigzustellen und zu kontrollieren. Unmenschliche Zustände während des Transports, wie der Mangel an Wasser oder eisige Temperaturen in den Lastkraftwagencontainern, in denen sich die Migranten wiederfinden, führen oft zu Todesfällen. Dies ist das gängige Schicksal der Armen und Mittellosen. Da es jedoch auch wohlhabende Flüchtlinge und Migranten gibt, werden regelrechte ¨Rundumpakete¨ angeboten, bei welchen, z.B. Flüge von Nigeria in ein europäisches Land mit allen nötigen (gefälschten) Dokumenten bereitgestellt werden, für die man bis zu 40 000 Dollar zahlt.