Pino – Ein Freiwilliger erzählt

Pino, ein junger Luxemburger der sich in Italien und in Luxemburg für die Flüchtlinge einsetzt, erzählt von seiner Arbeit

im Gespräch mit Yves Reichling

Seit Jahren sieht man, wie an den Küsten Italiens versucht wird, eine enorme Anzahl an Flüchtlingen, die Zuflucht auf dem europäischen Kontinent suchen, aufzunehmen und zu betreuen. Das Problem der Überforderung der lokalen Behörden und Aufnahmezentren erreicht die europäische Bevölkerung tagtäglich durch Presse und Zeitung, und veranlasst viele, als freiwilliger Helfer einen Beitrag zu leisten. Pino tat genau dies. Der 26-jährige Luxemburger hat sich nach seinem Abschluss in cultures européennes zu einem Jahr Freiwilligenarbeit entschieden und fand sich schließlich, im Rahmen eines Projekts der jesuitischen Gemeinschaft Christlichen Lebens, für insgesamt 2 Monate in Ragusa, auf Sizilien, wieder. Bei diesem Projekt ging es um die interkulturelle Begegnung zwischen gestrandeten Flüchtlingen und der lokalen Bevölkerung, sowie der Sensibilisierung über die Situation der Geflüchteten.

Ragusa

Ragusa

Tätigkeit eines Freiwilligen

Volontäre wie Pino helfen Probleme, wie z.B. Sprachbarrieren, welche ein klares Äußern der Wünsche der Flüchtlinge verhindern und die administrativen Prozeduren unnötig erschweren, zu überwinden. Der enthusiastische Freiwillige konnte durch seine Rolle als Übersetzer (Französisch oder Englisch ins Italienische) eine engere Beziehung zu den « Gästen » – im Zentrum in Ragusa bevorzugt man dieses Wort, anstelle des mittlerweile negativ konnotierten Begriffs « Flüchtling » – aufbauen und hörte viele ihrer persönlichen Geschichten. Für Pino war es wichtig, dass die Leute für eine Zeit lang nicht an ihre prekäre Situation erinnert werden, sich einfach unter Freunden austauschen können und nicht als « Flüchtling » abgestempelt, sondern als Menschen verstanden werden. Dabei versucht man die Menschen eher über ihre Träume und ihre Zukunft als über ihre Vergangenheit erzählen zu lassen.

Die verschiedenen Aktivitäten

Die freiwilligen Helfer genießen eine große Freiheit, wenn es um Aktivitätsplanung und Beschäftigungsmethoden geht. Pino nahm die Gäste z.B. gerne auf Spaziergänge im Wald mit, wo man, zu seiner positiven Überraschung, auf einmal anfing, Nationalhymnen zu singen und sich ungezwungen über schöne Erinnerungen aus der Heimat zu unterhalten. Diese Wanderausflüge waren eine willkommene Abwechslung für die Flüchtlinge, die insbesondere mit den langen Wartezeiten ringen und oft keine Möglichkeit haben, sich aktiv zu engagieren oder ihre Zeit produktiv zu nutzen. Langeweile und Frustration, die einen fruchtbaren Boden für Konflikte darstellen, sind sehr präsent, und es sind die Aktivitäten der Volontäre, die die Menschen ablenken.

Pino entschied sich folglich, als er einen kürzlich zur Moschee umgestalteten, kargen Raum ohne Dekoration oder Farbe sah, diesen mit den Gästen anzustreichen. Diese begrüßten seine Idee und werkelten fleißig bei den Renovationsarbeiten mit. Da Pinos Spezialität in Sachen Dessertzubereitung Tiramisu ist, kam er auf die Idee, diesen mit Hilfe einiger Flüchtlinge für die gesamten Bewohner der lokalen Empfangszentren (um die 100 Leute) zuzubereiten. Da Desserts kaum auf dem täglichen Menu eines Asylbewerbers stehen, war auch diese Aktivität ein riesiger Erfolg.

Schlepperbanden und die Reise

Obwohl Pino ein direktes Nachfragen über die Vergangenheit und die Traumata der Flucht der Gäste prinzipiell ablehnt, kam es trotzdem vor, dass die Menschen sich mit ihm über ihre Reise unterhielten und ihm unter anderem auch über die Schlepperbanden, durch die sie nach Italien kamen, berichteten. So erfuhr er, dass es eine gängige Art und Weise gibt, die Leute auf den Kontinent zu schmuggeln: man nimmt den Leuten während der Reise nach Tripolis all ihr Hab und Gut ab und sorgt mit Gewalt für Ordnung. Einmal in Tripolis angekommen werden die oft großen Gruppen von Flüchtlingen in kleinen Lagerhallen über 2-3 Tage mit einem Minimum an Verpflegung eingesperrt, mit dem Ziel, diese für die anstehende Bootsfahrt zu schwächen.

Auch auf dem Schiff bleiben körperliche und psychologische Gewalt das gängige Mittel gegen Meuterei und Chaos. Der Kapitän und Navigator des Schiffes, Angehörige der Schlepperbande also, tauchen nach dem Erreichen italienischer Gewässer inmitten der Passagiere unter. Letztere bleiben selbst dann noch zu verängstigt, um ihre Peiniger der italienischen Polizei auszuhändigen.

Die Registrierungs- und Kontrollprozedur wird schließlich noch vor dem Ankommen unternommen, um den Schleppern jedwede Möglichkeit zur Flucht zu nehmen. Dabei sind neben der italienischen Polizei v.a. freiwillige Ärzte vor Ort, um eine Bestandsaufnahme der Passagiere zu machen und deren Gesundheitszustand zu überprüfen.

Aufnahmezentren und die Rolle der Kirche

Pino lobt vor allem die Arbeit der katholischen Kirche im Kontext der Bewältigung der aktuellen Situation. Neben den sogenannten centri di collectia, sind es insbesondere Klöster und Kirchengemeinschaften, die die Aufnahme der Flüchtlinge als Pflicht ansehen. Der Aufruf des Papstes, Solidarität und Nächstenliebe gegenüber Flüchtlingen zu beweisen, hat dabei ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt. Auch diskriminieren die Geistlichen keineswegs aufgrund von Herkunft oder religiösen Überzeugungen, jeder wird aufgenommen. Einige sorgten sogar dafür, dass in den öffentlichen Räumen Kreuze und andere christliche Symbole entfernt werden, um ihre neuen Gäste nicht zu verärgern. « Man soll vor allem den Menschen sehen », beteuert Pino während unseres Interviews. Auch die Freiwilligen der Gemeinschaft Christlichen Lebens kommen in einem Jesuitenkloster unter.

Gedanken zur Integration

Für Pino bleibt es essentiell, sich in die Situation dieser Menschen hineinzuversetzen. Die Anpassung an eine neue und fremde Umgebung verläuft schließlich für keinen leicht. Auch wenn man bei Begegnungen mit Flüchtlingen zunächst auf Irritation und Frust stößt, sollte man dennoch immer bedenken, dass auch diese Leute Gründe für ihr Verhalten haben. Alles kann man jedoch nicht damit rechtfertigen (wie z.B. die Neujahrskravalle am Kölner Hauptbahnhof) und es bleibt wichtig, die Neuankömmlinge weniger als Fremde, die eh nach einer Zeit wieder ausreisen, sondern eher als gleichgestellte Mitbürger anzusehen.

Woran es mangelt, so Pino, sind Kurse und Seminare, in denen die Flüchtlinge die Geschichte sowie die sozialen und kulturellen Do’s and Don’ts Luxemburgs (wie z.B. ein angemessenes Benehmen gegenüber Frauen) ausführlich erklärt bekommen, damit interkulturelle Missverständnisse und Konfliktsituationen weitestgehend vermieden werden können. Die Geflüchteten haben eine eigene Verantwortung, wenn es um ihre Integration in die Luxemburgische Gesellschaft (nicht nur im Bezug auf die lokale Sprache) geht, jedoch muss man ihnen auch dabei helfen und sie adäquat unterstützen. « Oft wissen die Menschen gar nicht, dass sie einen Tabubruch begehen », bestätigt Pino. Das gegenseitige Sensibilisieren und Informieren für, bzw. über die eigene Lebensweise, der luxemburgischen Bevölkerung und ihrer neuen Nachbarn, sollte hervorgehoben und umgesetzt werden.

Mithelfen, aber wie?

Initiativen der Regierung, wie z.B. die umstrittenen Containerdörfer repräsentieren lediglich temporäre Lösungsmaßnahmen für den ansteigenden Zufluss an Asylsuchenden im Land.  Angebrachter wäre es Pino zufolge, leerstehende Häuser innerhalb der Gemeinden aufzusuchen und diese bereitzustellen, um den Neuankömmlingen die Chance zu geben, sich aktiv am Dorf- bzw. Stadtleben zu beteiligen und vor allem das Gefühl vermittelt zu bekommen, dass sie auch hier Mitbürger und Nachbarn sein können. Es gilt den tagtäglichen Kontakt zu fördern und die Barrieren zwischen den beiden Parteien aufzuheben. Öffentliche Veranstaltungen und Feste tragen hierzu nur bedingt bei, die Distanz zwischen den verschiedenen Kulturen bleibt bestehen.

Wofür Pino am meisten dankbar ist, wäre, dass er die Menschen selbst kennenlernen konnte. Er hat während seines Volontariats einen Einblick ins eigentliche Leben der Flüchtlinge gewonnen und sah, wie die Situation wirklich gehandhabt wird. Folglich sind es Verallgemeinerungen und die Bildung von voreiligen Meinungen zum Thema, welche den größten Schaden anrichten. Man soll sich von Statistiken und Nachrichtenreportagen distanzieren und versuchen, die Flüchtlinge als Menschen und Mitbürger zu betrachten.

Schließlich haben diese Leute auch Bedürfnisse, welche meist gar nicht so unterschiedlich sind, wie man denkt. Pino erinnert sich, wie ein simples Fußballturnier in einer Halle des Stade Josy Barthel für regelrechte Euphorie unter den Asylanten sorgte. Somit kann man den Menschen, auch wenn sie nur eine kurze Weile bei uns bleiben, das Gefühl geben, sie seien willkommen und Teil dieser Gesellschaft.

Selbst Schüler können sich aktiv einbringen und einen Beitrag leisten – wenn man z.B. in seiner Schule oder im Lycée auf Neuankömmlinge stößt (es müssen ja keine Flüchtlinge sein), könnte man diese während der Mittagspause einladen, mit essen zu gehen, oder nach der Schule auf einen Einkaufsbummel mitzunehmen oder zusammen eine Runde Basketball zu spielen. Oft bedarf es nämlich nur einer kleinen, kurzen Frage: « Hast du Lust, mitzuspielen? », um die oft so verängstigenden Grenzen zwischen « denen » und « uns » zu durchbrechen.

Grundliegend bleibt schließlich, sich eine eigene, differenzierte Meinung zu bilden, die am besten auf eigenen Erfahrungen beruht und andere Kulturen nicht als fremd oder als Bedrohung, sondern als etwas Neues und Aufregendes zu betrachten. Ein einladendes Lächeln versteht ja schließlich jeder.